Automatisiertes Entgraten von Verzahnungsbauteilen

Das Entgraten von Verzahnungsbauteilen ist eine so komplexe Aufgabe, dass sie bisher nur mit hohem Aufwand oder gar nicht automatisiert werden konnte. Mit der roboterbasierten Lösung RZE des rheinland-pfälzischen Sondermaschinenbauers Klaaßen Technologie GmbH wird das nun anders. Neben technisch ausgeklügelten Verfahren und Prozessen gewährleisten auch die eingesetzten Motoman-Roboter von Yaskawa höchste Standards bei Schnelligkeit, reproduzierbarer Präzision und einfacher Bedienbarkeit. Erste Praxisanwendungen der neuen RZE-Technologie sind bereits in Betrieb.

Zahn für Zahn schnell, reproduzierbar und zeichnungskonform

Ob Stirn-, Kegel- oder tonnenschwere Planetenräder für Windkraftgetriebe, mit ihren komplexen Geometrien stellen Zahnräder bei der Fertigung hohe Anforderungen im Produktionsalltag. Das gilt in besonderem Maße auch für das Entgraten und Anfasen der Zahn- und Werkstückkanten. Dieser Prozessschritt ist deshalb  nur schwierig und aufwändig zu automatisieren, beispielsweise durch CNC-Bearbeitungsmaschinen. 

Im Umkehrschuss bedeutet das: In den allermeisten Fällen werden Verzahnungsbauteile noch immer von Hand entgratet. Dieses Verfahren ist naturgemäß personal-, zeit- und kostenintensiv sowie mit einer hohen körperlichen Arbeitsplatzbelastung verbunden. Aber nicht nur das: Eine rein händische Bearbeitung ist ein stochastischer Prozess. D. h. die Ergebnisse unterliegen immer einer gewissen Streuung. Werkstückkanten lassen sich somit nicht dauerhaft exakt und reproduzierbar definieren. Zudem ist das Werkstück für den Bearbeiter nie von allen Seiten aus gleich gut zugänglich.

Roboterbasierte Alternative

Eine wirtschaftliche und effiziente Alternative zum Entgraten per Hand oder CNC-Maschine bietet der Einsatz von Industrierobotern. Mit der RZE (Roboter Zelle Entgraten) hat Klaaßen Technologie GmbH 2020 nach dreijähriger Entwicklungszeit eine solche Lösung vorgestellt. Die Anlage kombiniert eine intelligente Software mit einem ausgefeilten taktilen Messverfahren und einem leistungsfähigen Roboter. Zusatzfunktionen wie ein Doppeltischkonzept oder ein automatischer Werkzeugwechsel runden das Anwendungsspektrum ab.

Im Ergebnis gewährleistet die RZE als wiederholgenaues (deterministisches) Verfahren eine ausgezeichnete, gleichbleibende Entgratequalität bei kurzen Taktzeiten und damit eine hohe Produktivität. Gleichzeitig bietet die Zelle eine breit gefächerte Variabilität in Bezug auf Werkstückgrößen und -formen: Sowohl festgelegte als auch individuell programmierbare Suchmuster zur Erfassung der jeweiligen Entgrategeometrie sind verfügbar bzw. möglich, z. B. für Stirnräder, Innen- oder Palloidverzahnungen etc. Als weitere Besonderheit ist die RZE dank einer einfachen Variablensteuerung konsequent einfach zu bedienen und zu programmieren. Spezielle CAM- oder Teach-In-Prozesse sind nicht notwendig, sodass die Bedienung nur geringe Anforderungen an das ausführende Personal stellt. Die bisher mit der Entgratung betrauten Mitarbeiter können also problemlos auch die neue Zelle bedienen.

Die Intelligenz der Zelle sitzt in der grafisch gestützten HMI-Steuerung, wobei diese auf die Robotersteuerung zurückgreift: Der Roboter vermisst zuerst das Bauteil, teacht sich dann selbstständig ein und startet automatisch den Entgrate- oder Polierprozess. Er sucht sich also selbstständig die relevante Kontur und entscheidet auch eigenständig über die Kurvenführung am Werkzeug. Oder wie es Thomas Damm, Geschäftsführer von Klaaßen Technologie, ausdrückt: „Der Roboter schreibt sich selbst sein Programm.“

Roboter als zentrale Komponente

Was sich hier so einfach anhört, ist sowohl steuerungs- als auch robotertechnisch alles andere als trivial. Vor diesem Hintergrund entschieden sich die Verantwortlichen von Klaaßen Technologie für Motoman-Roboter von Yaskawa.

Dafür sprach zunächst einmal die Robotersteuerung Motoman YRC1000, wie Thomas Damm erklärt: „Dieser vielseitige und leistungsstarke Steuerungstyp bietet viele Möglichkeiten, die uns bei der Realisierung unseres Konzepts sehr entgegenkommen – insbesondere eine große Anzahl an Variablen, die wir auch fast vollständig ausschöpfen. Gleichzeitig ist die YRC1000 auf eine hohe Bahngenauigkeit und eine schnelle und präzise Beschleunigung des Roboterarms ausgelegt.“ Außerdem ist die Steuerung ausgesprochen kompakt und benötigt deshalb nur wenig Platz innerhalb der Zelle.

Aber auch die Hardware der Motoman-Roboter hat Thomas Damm überzeugt. Neben ihrer Positioniergenauigkeit und der Flexibilität der Roboter nennt er noch einen weiteren Grund dafür: „Aus meiner langjährigen Erfahrung im Umgang mit Robotern kann ich mit Überzeugung behaupten, dass Motoman-Roboter zu den widerstandsfähigsten und mechanisch verlässlichsten Systemen am Markt zählen. Das ist einfach gute japanische Maschinenbau-Qualität.“

Und nicht zuletzt lobt der Automatisierungsprofi die enge Partnerschaft mit dem Hersteller: „Yaskawa hat uns bei der Entwicklungsarbeit für die RZE von Anfang perfekt begleitet und hat uns häufig weitergebracht.“

Lösungen von groß bis klein

Der Durchmesser der zu entgratenden Zahnräder entscheidet naturgemäß nicht nur über die Abmessungen der Zelle, sondern auch über die Spezifikation des Roboters. Da die Potenziale der RZE bei großen Werkstücken besonders signifikant sind, wurden in diesem Bereich auch die ersten Praxisanwendungen realisiert. So arbeitet beispielsweise eine RZE 15 (ausgelegt für Durchmesser bis 1,5 m) bereits erfolgreich bei einem großen Lohnfertigungsbetrieb für Windkraftkomponenten.

Bei solchen größer dimensionierten Anlagen setzt Klaaßen Technologie einen Handlingroboter Motoman MH50 mit 50 kg Tragkraft ein. Die 6-Achsroboter der Baureihe verbinden auf kleinem Raum eine hohe Traglast mit einer präzisen Arbeitsgenauigkeit und das bei einer Wiederholgenauigkeit von ≤ 0,2 mm und kurzen Zykluszeiten. Dank eines neuartigen Vibrationskontrollsystems können die Achsgeschwindigkeit und die Eigensteifigkeit ihrer Getriebe dazu genutzt werden, eine besonders hohe Beschleunigung bei kurzen Bewegungen zu erzielen.

Aber auch für kleinere Werkstücke bietet die RZE interessante Perspektiven, wie dieses aktuelle Beispiel zeigt: Die F.J. Derichs Maschinenbau GmbH & Co. KG in Erkelenz fertigt seit 1967 Zahnräder für sämtliche Industriebereiche vom Messritzel bis hin zu Schwerstantrieben. Dabei nutzt das Traditionsunternehmen als erster Kunde überhaupt eine weitere, kleinere Ausführung der RZE.

Dort übernimmt ein kompakter Motoman GP8 mit 8 kg Tragkraft das Entgraten. „Dieser Roboter ist der mit Abstand genauste seiner Klasse und damit auch für filigrane Konturen sehr gut geeignet“, begründet Thomas Damm diese Entscheidung. Außerdem ist der Roboter extrem schnell und komplett in der Schutzklasse IP67 ausgeführt. Und nicht zuletzt ist der GP8 so kompakt, dass die gesamte Zelle nur rund 2 x 1,4 m Fläche beansprucht. Sein schlankes und kurviges Design ermöglicht es dem Manipulator dabei, tief in Arbeitsbereiche einzutauchen und die glatten Oberflächen erleichtern die Reinigung. Für die Verbindung zwischen Manipulator und Steuerung ist nur noch ein Roboterkabel notwendig. Die Vorteile dieser Lösung liegen in einem geringeren Verschleiß und in einem reduzierten Platzbedarf. Auch der Aufwand für Wartung und Ersatzteilhaltung sinkt.

Fazit und Ausblick

Mit der RZE setzt Klaaßen Technologie neue Standards beim automatisierten Entgraten und Anfasen von Verzahnungsbauteilen: Gegenüber einer manuellen Bearbeitung ist dabei eine Zeitersparnis von bis zu 95 % realisierbar. Gleichzeitig steigen Produktivität und Qualität. Auch eine Entgratung nach Zeichnungsvorgabe ist problemlos möglich. Die Voraussetzung für diese überzeugende Neuentwicklung schaffen Motoman-Roboter von Yaskawa. Nach ersten erfolgreich realisierten Praxisprojekten hat Geschäftsführer Thomas Damm die nächsten Innovationsschritte schon im Blick. So soll als Nächstes ein 3D-Sensor das Leistungsspektrum der RZE zusätzlich erweitern.